Zeichnung | Radierung
9. – 30.6.2024
Bei der Vernissage spricht Dr. Jutta Höfel zu Ellen Blank-Hasselwanders Arbeiten:
Es steht nicht gut um uns, denn wir vernichten einander und die Welt in größerem Umfang als je zuvor. Müssen wir nicht alles tun, um Leben zu retten? Ja. Unentwegt. Warum also noch Kunst? Weil sie uns einen Raum schenkt, der in der Realität aus ihr herausgenommen ist, eine Gelegenheit, freier mit ihren Bedingungen umzugehen und uns selbst anders zu begegnen, auch unseren Ängsten und Gefährdungen.
So erleben wir die Ausstellung von Ellen Blank-Hasselwander und Odile Liron-Schlechtriemen, die sich mit einem Teil ihrer Arbeit der letzten Jahre gegen die Absurdität des Krieges wenden.
Die Zeichnung Ellen Blank-Hasselwanders auf der Einladung zeigt eine einzelne, im dornigen Stacheldraht zerfetzte Hand, dahinter die zerstörte Kulisse einer Stadt, deren Trümmer noch immer explodieren – ein Memento unserer Grausamkeit.
Seit jeher ist Ellen Blank-Hasselwander eine Expertin für das Phantasmagorische, sie hält fest, was aus den Tiefen des Un- und Unterbewussten an die Oberfläche steigt, manchmal in weichen, leichten Wunschgespinsten, manchmal in grotesken Gebilden. In einen Zyklus von vier Arbeiten lässt uns die Künstlerin in Zerrspiegel sich verselbständigender Moden blicken, zum Beispiel auf eine Frau mit unsichtbaren Beinen, verkürzten Armen und Fingern die in pelziger Jacke, Halskrause, Korsage, Rüschentaille,
fransigem Rocksaum – und bizarrem Federhut geschmückt ist, unter dem nur ein großer Mund hervorsieht. Wie geschneidert für ihre gedrungene Gestalt hängt an einer alten Ständerpuppe ein halbes Kleid unter einem Netzüberwurf. Ein festliches Gewand aus perlbesticktem Stoff und mürben Spitzen schwebt „Träume
webend“ zwischen einzelnen Ballon-Pompons, während „Madame X“ in ihrer üppigmonströsen
Leibeslandschaft incognita bleibt.
Die Grafit- und Sepiazeichnungen, zu denen wir das eine und andere schauerliche Märchen entwerfen könnten, sind mit Schraffuren und Wischungen verdichtet und von einem weiß gelassenem Rand gerahmt.
In den thematisch dazu passenden Porträts stehen statt der Personen Attribute im Fokus wie ein „Schleier“ aus brüchig anmutenden Geweben über einem blassen Mädchengesicht und ein schwer auf einem Frauenprofil lastender „Hut“, der sich aus knorrigen Hirngelegen in helle Gefilde emporschichtet, aus dem Erdigkörperlichen in das Bläulichtgeistige. Die Fonds dieser und der übrigen farbigen Arbeiten bestehen aus Monotypien, die Ellen Blank-Hasselwander von Glasscheiben mit flüssigen Gouachen auf Papier druckt, auf dem sich rinnende und ufernde Gründe herausbilden, in denen vielarmige Korallengewächse ebenso gedeihen wie Stalaktiten und Stalagmiten. Mit dem Stift modelliert die Künstlerin, wozu die zufällig entstandenen Formen sie inspirieren: ineinander wirkendes Irdisches und Himmlisches, Stein und Stern, Wasser und Wolke, durchwuchert von Pflanztiermenschlichem, durchäugt von hybriden Geschöpfen.
Ihre bisweilen unheimlichen und erschreckenden surrealen Welten versieht die Künstlerin gern mit beiläufig-harmlosen Titeln: So wurzeln die eigentlich kindlichfroh verblasenen fruchtbaren „Pusteblumen“ in einem Gräberfeld braunzahniger Kiefer und geäderter Hautlappen, aus denen animalische Gesichter auftauchen. Und das „Blumenstilleben“ zersetzt die Stiele und Blütenkelche eines Bouquets in gräulich-poröse Pilzsporen und Flechten. Vielfach umgeben solche Auflösungsprozesse in feinen Zerstäubungen die Motive wie eine
Fels-Eis-Insel („Landschaftliches I“), die in metamorpher Reflektion erscheint, als werfe sie ein anderes Bild von sich in eine stille See. In warmtonigen Mäandern, deren Gold und Ocker die Künstlerin mit dem Pinsel vertieft, vollziehen sich heimliche Gefüge zwischen Borke und Baum, Saft und Kraft („Florales“). Eine „Libelle“ streckt ihren in Gürtelringen segmentierten Leib, beidseits beflügelt und zum Schwanz hin beflosst wie ein Rochen, und ein „Vogel“ treibt verloren im Sturmwindgebrause. Andernorts wiegt sich eine gewaltige Meduse, („Entfaltung“) aus blassem rundem Grund grünlich auf- und zusammenströmend und sich zur Glocke wölbend, aus der sich Tropfpartikel absondern. Schließlich geht hinter schroffen Klippen und noch grauen Wolken eine Sonne auf.
Kunst hat ihre eigene Form des Engagements, sie entsteht aus dem Wirklichen als ein Medium des Möglichen, dessen Freiheiten sie uns schenkt. Sie führt uns die Schönheit, die Geheimnishaftigkeit und die Bedrohtheit unseres Daseins vor Augen, sie kann uns in Abgründe stürzen, auf die Füße stellen und fliegen lassen. Zu alldem laden uns Ellen Blank-Hasselwander und Odile Liron-Schlechtriemen mit ihrer
Ausstellung ein, in der viele Korrespondenzen zu entdecken sind. ©2024 Dr. Jutta Höfel
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